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Meinungen

Datenliteraten braucht das Land!

 
Die digitale Transformation in Deutschland stockt.
Auf dem Arbeitsmarkt fehlen zurzeit 95.000 Datenspezialisten. Der aktuelle Ländercheck Informatik des Stifterverbandes zeigt außerdem: Zwar entscheiden sich mittlerweile knapp acht Prozent der Studienanfänger für das Fach Informatik, doch nur gut fünf Prozent der Professoren und knapp vier Prozent des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen lehren und forschen in diesem Fach. Tendenz: rückläufig. Ein deutlicher Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen.

Ohne Data Literacy ist gesellschaftliche Teilhabe schon heute schwierig. In der Arbeitswelt wird Teilhabe in naher Zukunft für "Daten-Analphabeten" unmöglich sein. Schulen und insbesondere Hochschulen stehen daher vor der Aufgabe, ihren Absolventen die Fähigkeit zu vermitteln, Daten und digitale Informationen "lesen" und "deuten" zu können: Schüler und Studenten aller Fächer müssen systematisch erlernen und erfahren, mit Daten in ihrem jeweiligen Kontext bewusst umzugehen. Damit das gelingt, sind Lehrkräfte gefragt, die ihrerseits über digitale Kompetenz verfügen und während ihrer eigenen Ausbildung auf die Anforderungen einer digitalen Welt vorbereitet wurden. Der jüngst erschienene Monitor Lehrerbildung aber zeigt: Nur an 14 Prozent aller Hochschulen gibt es beispielsweise für angehende Gymnasiallehrer verpflichtende Veranstaltungen zum Einsatz digitaler Medien in der Schule.

Nicht erst diese Zahlen dokumentieren: Unsere Bildungsinstitutionen hinken dem digitalen Wandel hinterher. Schulen, Hochschulen und Politik müssen eine zweigleisige Strategie verfolgen: Die Informatik stärken und in allen Disziplinen Datenanalysekenntnisse vermitteln.

 
Ja, wir brauchen deutlich mehr IT-Spezialisten.
Wir brauchen aber noch mehr "Datenliteraten", das heißt Menschen in allen Bildungsgängen und Berufsgruppen, die mit Daten umgehen, datenbasierte Entscheidungen treffen und deren Aussagekraft im jeweiligen Kontext einschätzen können. Letztlich geht es um die ressourcengestützte und Disziplinen übergreifende Entwicklung einer Datenkultur, die zugleich kritisch und innovativ ist.

Was heißt das für die Hochschulen? Alle Dozenten müssen sich mit der Frage auseinander setzen, wie sie Data Literacy in ihrem Fach integrieren und den Studenten entsprechende Kompetenzen ermöglichen. Wer sich diesem Anliegen unter Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit verweigert, handelt kurzsichtig und verantwortungslos gegenüber den Studenten, gegenüber der Gesellschaft, gegenüber der Zukunft. Denn Data Literacy ist eine zentrale Schlüsselqualifikation für alle, eine Kulturtechnik. Da es aber in vielen Disziplinen an Kompetenzen und Ressourcen für deren Vermittlung fehlt, braucht es ein Lehr-Lern-Konzept für die gesamte Hochschule, wie Stifterverband und Heinz Nixdorf Stiftung es mit ihrem Förderprogramm Data Literacy Education unterstützen. Das fordert die Fakultäten, ihr mehr oder weniger strenges Silo-Denken zu überwinden.

Eine akademische Vorreiterin ist die Universität Berkeley in Kalifornien. Dort schreiben sich massenweise Studierende des ersten Semesters freiwillig für deren fachübergreifende Data-Kurse ein und machen diese zum erfolgreichsten Lehrprogramm der Institution.

 
Was ist zu tun, um zugleich Datenkompetenzen und eine Datenkultur in Deutschland zu fördern?
Wir müssen uns über die mit dem Begriff der Data Literacy verknüpften Teil-Kompetenzen verständigen und festlegen, an welcher Stelle in der Bildungskette welche Kompetenzstufe vermittelt werden soll. Wir müssen klären, wo entwickelte Kompetenz-Module curricular verankert werden, entweder innerhalb oder zwischen den Fachdisziplinen. Gleichzeitig benötigen wir eine Lehrenden-Ausbildungsinitiative für die Vermittlung von Data Literacy, das heißt flächendeckende verpflichtende Lehrangebote für angehende und schon tätige Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen. Informatik muss als Pflichtfach spätestens in den weiterführenden Schulen eingeführt werden. Und die Hochschulen müssen ihren Studierenden kreative Lehr-Lern-Ansätze, Raum und anregende Umgebungen bieten, in denen mit echten Datensätzen experimentiert werden kann. Wir brauchen neue interdisziplinäre Datenlabore an Hochschulen, die als Schnittstelle für die Disziplinen und Orte datenzentrierter Offener Wissenschaft und Innovation dienen.

 

Andreas Schlüter (Foto: David Ausserhofer)
Foto: David Ausserhofer

Autor des Beitrags:
 

Prof. Dr. Andreas Schlüter
Generalsekretär des Stifterverbands

Der Artikel ist auch am 20. Juni 2018 im Tagesspiegel erschienen.