Future Skills
Meinungen

STEAM für die Wirtschaft –
Digitalisierung braucht interdisziplinäres Denken

Die Chancen, aber auch Herausforderungen, die die Digitalisierung für den Wirtschaftsstandort Deutschland mit sich bringt, betreffen jeden einzelnen. Wie wollen wir diesen begegnen? Vernetzung, Elektromobilität, der Weg zum autonomen Fahren, Shared-Economy, Mobilität über Apps – all das verändert die Automobilbranche mit einer Geschwindigkeit wie nie zuvor. Unstreitig führt die Digitalisierung dazu, dass Grenzen zwischen Fachgebieten verschwimmen und immer mehr ineinander fließen. Daher suchen Unternehmen heutzutage neben fachlichem Know-how und Flexibilität vor allem interdisziplinäres Denken und Handeln bei Bewerberinnen und Bewerbern. Zusätzlich werden verstärkt sozial-kommunikative Kompetenzen, eine systematische Denkweise, Abstraktionsfähigkeit sowie die Fähigkeit zur schnellen Informationsverarbeitung gefordert.

Die Digitalisierung verändert auch zunehmend die Anforderungen an künftige Führungskräfte. Die Chefs von heute leiten ihr Führungsverständnis nicht mehr in erster Linie aus ihrer hierarchischen Rolle und fachlichen Kompetenz ab, sondern übernehmen verstärkt die Rolle von "sozialen Architekten". Es geht darum, in und an sozialen Systemen zu arbeiten, Menschen zu verstehen, Beziehungen aufzubauen, Sinn zu vermitteln, Netzwerke zu gestalten sowie Raum für eigenverantwortliches und selbst organisiertes Arbeiten zu schaffen.

Die Wirtschaft braucht Talente, die authentisch und kreativ sind, für ihre Ideen brennen und aktiv gestalten wollen, die bewährte Wege verlassen und bereit sind, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben. Doch welche Voraussetzungen sind nötig, um diese Anforderungen zu erfüllen? Welchen Beitrag leistet unser Bildungssystem und wo genau sollte angesetzt werden, um mit der rasanten Entwicklung Schritt zu halten?

Richtigerweise wird bei diesem Thema die digitale Qualifizierung der "Stakeholder" in Schule, Wissenschaft und Gesellschaft in den Vordergrund gerückt. Bei der Diskussion darüber, welche Qualifikationen und welches Wissen in der digitalen Welt vonnöten sind, tritt die Bildung im umfassenden Sinne oft hinter dem reinen Kompetenzerwerb zurück. Selbstverständlich muss sich unsere Gesellschaft in allen Lebensphasen viel intensiver als bisher mit der Digitalisierung beschäftigen. Und noch klarer ist, dass jedes Kind bereits in der Schule programmieren lernen und mit umfassendem digitalen Sachverstand ausgestattet werden muss. Und auch die Schulen und Hochschulen müssen das als digitale Lernorte sicherstellen und entsprechend ausgerüstet werden.

Aber diese Fähigkeiten zu Lasten einer Allgemeinbildung im Sinne einer klassischen humanistischen Bildung zu fordern, ginge an den Bedarfen der Wirtschaft vorbei. Warum? Die für die Digitalisierung notwendige Interdisziplinarität und Kreativität erfordert Impulse aus unterschiedlichsten Fachrichtungen, aus der Wissenschaft und aus Kunst und Kultur. So schärfen alte Sprachen wie Latein oder Altgriechisch analytische Fähigkeiten und öffnen die Türe zu kreativem Denken, Philosophie, historischen Zusammenhängen und ethischem Handeln, was beispielsweise bei den Fragestellungen rund um die künstliche Intelligenz von zunehmender Relevanz ist. Auch die Auseinandersetzung mit Kunst ermöglicht, querzudenken, eine andere Perspektive einzunehmen, um dadurch Inspirationen für eine persönliche Weiterentwicklung zu erhalten.

Insgesamt geht es darum, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und naturwissenschaftlich-technische Disziplinen durch andere Aspekte zu ergänzen und zu erweitern. Gerade kulturelle und kreative Herangehensweisen erlauben, aus etablierten Denkschemata auszubrechen und Neues zu wagen. In den USA spiegelt sich die Erkenntnis, dass Kunst und Kultur ein großes Potenzial  für den Unternehmenserfolg und Innovationen bieten, auch in der aktuellen Diskussion rund um die MINT-Fächer wider. Das englische Initialwort "STEM" (Science, Technology, Engineering, Mathematics), auf Deutsch "MINT", wird um den Begriff "Arts" zu "STEAM" erweitert.

Ich persönlich wünsche mir, dass die gegenwärtige Diskussion dazu führt, die klassische Bildung als Voraussetzung für den digitalen Kompetenzerwerb und nicht als Gegensatz zu sehen. So wird die Digitalisierung aller Lebensbereiche mit Mut und Augenmaß, vor allem aber mit Entschlossenheit und Schnelligkeit ermöglicht.

 

Anna-Maria Karl (Foto: Michael Dannenmann/Daimler)
Foto: Michael Dannenmann/Daimler

Autorin des Beitrags:
 
Dr. Anna-Maria Karl
Leiterin Global Talent Sourcing der Daimler AG