Strategische Potenziale für Hochschulen

Future-Skills-Bedarfe: Strategien von Hochschulen

 
 
Hochschulen stehen beim Thema zukünftige Kompetenzen für den Arbeitsmarkt vor zwei zentralen Herausforderungen:
Für den Bereich der Technological Skills gilt es erstens, passende Studien- und Weiterbildungsformate zu entwickeln, um kontinuierlich aktuelle Forschungserkenntnisse zu transformativen Technologien weiterzugeben und den Arbeitsmarkt mit entsprechend ausgebildeten Experten zu versorgen. Dafür müssen Hochschulen verstärkt den Weiterbildungsmarkt erschließen. Neben der Aus- und Weiterbildung technologischer Spezialisten wird von Hochschulen zweitens auch zunehmend erwartet, an alle Studierenden, fächerübergreifend die notwendigen digitalen und nicht digitalen Kompetenzen zu vermitteln (zum Beispiel Data Literacy, Entrepreneurial Skills, Kollaborationstechniken etc.).

 
 
Hochschulen adressieren diese Herausforderungen und Potenziale derzeit noch unzureichend.
Es braucht zukunftsorientierte Neuerungen und mehr Ressourcen in sieben Bereichen:

Konzipierung neuer Studiengänge

Neue Kompetenz- und Qualifikationsanforderungen in der Arbeitswelt der Zukunft erfordern den Ausbau bestehender und die Konzipierung neuer Studienangebote. Viele Hochschulen erhöhen deshalb die Anzahl an Studiengängen im Bereich der Informatik beziehungsweise die Anzahl an verfügbaren Studienplätzen. Informationstechnisches Grundlagenwissen wird dabei zumeist im Rahmen von Bachelor-Informatik-Studiengängen vermittelt, bevor anschließend in vertiefenden Master-Programmen weiteres Zusatz- und Spezialwissen erworben wird.

Einige Hochschulen setzen darauf, die neuen technologischen Entwicklungen gezielt beim Studienangebot zu berücksichtigen und Studierenden eine Spezialisierung in diesen Zukunftstechnologien zu ermöglichen. Dazu werden neue, auf den Erwerb spezifischer technologischer Future Skills zielende Studiengänge entwickelt, wie beispielsweise spezielle Masterprogramme für Big Data.

Im Bereich komplexer Datenanalyse gibt es gegenwärtig mehr als 50 Studiengänge, über welche in Summe in den nächsten fünf Jahren geschätzte 75.000 Absolventen auf den Arbeitsmarkt entlassen werden. Dies entspricht 14 Prozent aller Absolventen aus MINT-Studiengängen. Gleichzeitig zeigt das Studiengangsspektrum in der nachfolgenden Tabelle, dass hier noch weiteres Potenzial zu erschließen ist.

Eine weitere Option für Hochschulen ist es, in die Schaffung von spezialisierten Master-Programmen in Informatik und anderen Technological Skills zu investieren, die sich an Fachfremde richten. In der Betriebswirtschaftslehre erproben einige Hochschulen dieses Modell schon seit vielen Jahren erfolgreich. In Deutschland bietet beispielsweise die Hochschule Trier mit dem Master of Computer Science (M.Sc.) einen entsprechenden Master an. Im europäischen Ausland gibt es schon heute zahlreiche solcher Master-Programme, meist mit einem Schwerpunkt auf Informatik. Doch auch andere Technological Skills können aufgegriffen werden: Da datengetriebenes Arbeiten heute alle Fachdisziplinen betrifft, ist mit einer hohen Nachfrage an Absolventen zu rechnen, die einerseits einen berufsqualifizierenden Abschluss in einer Fachdisziplin besitzen und die andererseits über einen Master-Abschluss in einem Informatiknahem Fach verfügen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, Future Skills nicht nur in MINT-Fächern, sondern in allen Disziplinen zu verankern. Viele Vertreter geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer sehen ihre Bereiche nach wie vor als unbetroffen von den Veränderungen durch den digitalen Wandel. Aber hier liegen große strategische Potenziale: Eine Reihe von Instituten nutzen die Möglichkeiten von Big Data für neue Forschungsansätze und Lehrinhalte und bauen Methoden der Informatik und Module für "Komplexe Datenanalyse" in ihre Fächer ein. Fächerübergreifende Qualifikationen können durch neue interdisziplinäre Studiengänge vermittelt werden. So wird "Digital Humanities" als grundständiges Studium mit einer Mischung aus Kulturwissenschaften und Informatik an der Universität Leipzig, der Universität Würzburg und der LMU München angeboten. Denkbar wären zum Beispiel auch interdisziplinäre Studiengänge mit Fokus auf Data Literacy, Tech-Translation oder kritischer Forschungskompetenz oder neuartige Spezialisierungen in Master-Studiengängen (Datenjournalismus, Bildungsinformatik, Legal Tech etc.).

Einige Hochschulen gehen einen anderen Weg und setzen auf stärker individualisierte Studiengangskonzepte. In modularen Grundstrukturen können durch vielfältige disziplinäre und methodische Bausteine Konstellationen für individualisierte Kompetenzprofile geschaffen werden, die auch verstärkt digitale und technische Fähigkeiten umfassen. Dies wird bereits jetzt zum Beispiel an der Universität Wien oder an der Leuphana Universität Lüneburg realisiert.

Weiterentwicklung der Curricula

Hochschulen sollten ihre Curricula konsequent auf fachliche und überfachliche Future Skills ausrichten. Dies kann für viele Curricula eine grundlegende Änderung von Studienstrukturen sowie von Lehr- und Lernarrangements bedeuten. Eine Schaffung lediglich von Zusatzangeboten wie Wahlpflichtmodulen wird in den meisten Fällen zu kurz greifen.

Eine Möglichkeit besteht für Hochschulen darin, die Studieneingangsphase neu zu konzipieren. So könnten die ersten Semester an Hochschulen dafür genutzt werden, transdisziplinär für alle Fachbereiche verpflichtend Querschnittskompetenzen zu adressieren. Als Resultat würden Studierende fächerübergreifend in die Lage versetzt werden, in der digitalen Welt ethische Überlegungen und Kontextualisierungen vorzunehmen, agil zu arbeiten sowie Kollaborationstechniken gezielt anzuwenden.

Auch eine neue VDMA-Studie zielt insbesondere auf die ersten Studiensemester. Sie kommt zum Schluss, dass in den Fachrichtungen Maschinenbau und Elektrotechnik Grundlagenkenntnisse aus der Informatik unabdinglich sind – und umgekehrt in der Informatik Kenntnisse der anderen beiden Fächer sinnvoll sind. In der Studie werden daher eine stärkere interdisziplinäre Verschränkung von Studieninhalten, ein besseres Miteinander der Fakultäten und ein gemeinsames ingenieurwissenschaftliches Grundstudium über die ersten zwei Semester vorgeschlagen.

In Bezug auf die Konzeption von Studiengängen und -modulen stehen Hochschulen vor der Herausforderung, dass neue Inhalte und eine zeitgemäße Lehre Hand in Hand gehen müssen. Gerade digitale Grundfähigkeiten und klassische Fähigkeiten können nicht ausschließlich durch Vorlesungen und Seminare vermittelt werden. Hochschulen sollten deshalb Lehrstrategien entwickeln, die neben klassischen Lehrformaten auch aktivierende Formen der Lehre enthalten. Hierzu zählen Ansätze des problem- und projektorientierten Lernens sowie die Vermittlung von innovativen Methodenkompetenzen wie Design Thinking.

Da es sich bei der digitalen Transformation um einen technologisch und disziplinär schwer zu prognostizierenden Prozess handelt, müssen Curricula flexibel und anpassungsfähig werden. Während bei der traditionellen Programmakkreditierung von Studiengängen dies nur sehr eingeschränkt möglich ist, eröffnet das Verfahren der Systemakkreditierung den Hochschulen neue Freiheitsgrade für agile Anpassungen der Curricula, die sie im Dialog mit Arbeitswelt und Zivilgesellschaft aktiver nutzen sollten.

Die Weiterentwicklung einer zeitgemäßen Lehre, die Future Skills in allen Fachrichtungen vermitteln soll, erfordert ein hohes Engagement von Lehrenden. Hierfür ist eine auch finanziell spürbare Aufwertung der Hochschullehre notwendig. Die Grundlagen hierfür muss die öffentliche Hand legen. Die Politik sollte mit deutlich mehr Ressourcen die Hochschulen in die Lage versetzen, gezielt Lehrinnovationen zu fördern. Ebenso wichtig ist eine Stärkung der Weiterbildung für Lehrende: Die Gestaltung von (gerade auch transdisziplinären) Lehr- und Lernprozessen ist eine komplexere pädagogische Aufgabe. Dazu müssen deutlich mehr Angebote und Ressourcen für didaktische Weiterqualifikation geschaffen werden.

Vermittlung von Data Literacy

Mit dem Begriff Data Literacy werden die Fähigkeiten beschrieben, planvoll mit Daten umzugehen und diese im jeweiligen Kontext bewusst einsetzen und hinterfragen zu können. Dazu gehört: Daten erfassen, erkunden, managen, kuratieren, analysieren, visualisieren, interpretieren, kontextualisieren, beurteilen und anwenden. Alle Studierenden und Promovierenden sollten diese grundlegenden Kompetenzen erlernen, um in der digitalen Welt erfolgreich bestehen und teilhaben zu können. Zahlreiche Hochschulen engagieren sich derzeit intensiv bei der Vermittlung überfachlicher Future Skills und weiten entsprechende Lehr- und Weiterbildungsangebote gezielt aus.

Hochschulen verfolgen dabei unterschiedliche Strategien. Eine Möglichkeit ist es, Data-Literacy-Kompetenzen über disziplinäre Grenzen hinweg zu vermitteln. Die zu diesem Zweck zum Einsatz kommenden Lehr- und Lernformate decken die gesamte zur Verfügung stehende Bandbreite ab — von disziplinübergreifenden Online- und Projektkursen über herkömmliche Präsenzveranstaltungen im Rahmen von Bachelor- und Masterprogrammen bis hin zu anwendungsorientierten interdisziplinären Data Labs.

Ein Beispiel dafür ist das Konzept DATAx der Leuphana Universität Lüneburg. Im Rahmen eines fachübergreifenden Eingangssemesters können Studierende zunächst im Online-Selbststudium zentrales Grundlagenwissen in den Bereichen Mathematik, Statistik und Programmierung aufbauen. Diese Methodenausbildung integriert gezielt Inhalte der Data Literacy Education und steht sämtlichen Bachelor-Studierenden aller Fachrichtungen offen. Um das erlernte Grundlagenwissen auch praktisch anwenden zu können, bekommen die Studierenden anschließend in einem Open Data Hacking Space Echtdaten von Praxis- und Kooperationspartnern bereitgestellt und können auf dieser Grundlage Praxisprojekte im Bereich der Datenanalyse und -visualisierung umsetzen.

Im Ergebnis bauen die Studierenden also nicht nur theoretisches Grundlagenwissen im Bereich der Datenanalyse auf, sondern bringen dieses anschließend in konkreten Praxisprojekten zur Anwendung. Neben dem Kompetenzaufbau und der erworbenen Praxiserfahrung erhalten Studierende, Unternehmen sowie weitere Praxispartner die Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen.

Schaffung neuer Lernumgebungen und agiler Innovationsräume

Viele wichtige disziplinenübergreifende Future Skills wie zum Beispiel kollaboratives Arbeiten, unternehmerisches Denken und agile Lern- und Arbeitsmethoden lassen sich überwiegend nicht inhaltlich vermitteln, sondern bedürfen neuer Formen und Räume des (physischen und virtuellen) Lehrens und Lernens.

Dazu passend entstehen an vielen Hochschulen gegenwärtig neue Lernumgebungen, Orte des kollaborativen Arbeitens sowie agile Innovationsräume. Dabei handelt es sich um digitale wie auch analoge Orte, die es Studierenden mit unterschiedlichen Perspektiven und Expertisen ermöglichen, gemeinsam an konkreten Herausforderungen und praktischen Lösungsansätzen zu arbeiten. Die Zusammenarbeit ist durch flexible, experimentelle und kooperative Arbeitsweisen geprägt. Die in der Praxis zu beobachtende Ausgestaltung dieser Innovationsräume erfolgt dabei durchaus unterschiedlich. Als gemeinsames Merkmal kann festgehalten werden, dass Innovationen aus dieser Perspektive zunehmend als Produkt gesellschaftlicher Interaktion verstanden werden und die Bedarfe und Anwendungskontexte der späteren Endnutzer von Beginn an in den Blick genommen werden.

Diese agilen Innovationsräume und neuen Lernumgebungen fördern somit nicht nur die Entstehung von Innovationen und neuem Wissen, sondern sind auch als Orte der aktiven Kompetenzvermittlung im Bereich Future Skills zu verstehen: Veränderte Lernumgebungen fördern und erfordern zugleich neue Formen des Wissensaustausches und die Fähigkeit, agil arbeiten zu können. Projektbasierte Lernmodule ermöglichen den Studierenden, kooperativ über die Grenzen der Hochschule hinaus zu denken und mit Partnern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten. Damit tragen diese Innovationsräume zur Weiterentwicklung von Lernkonzepten bei und fördern die Entwicklung in Richtung eines forschungs- und innovationsorientierten Lernens.

Ein Beispiel hierfür ist die Lichtwerkstatt Jena, eine offene Werkstatt, bei der jeder mit Interesse an den Themengebieten Licht und Optik teilnehmen kann. Interessierte erhalten neben dem freien Zugang zu moderner technischer Infrastruktur auch das nötige Know-how für die Entwicklung und Realisierung eigener Ideen. Mit der Lichtwerkstatt erhalten Studierende, Doktoranden, aber auch Kreativschaffende, interessierte Bürger bis hin zu Start-ups eine gemeinsame Anlaufstelle, um zusammen zu experimentieren, bisherige Erfahrungen auszutauschen und neue Mitstreiter für gemeinsame Projekte zu finden. Unternehmen nutzen die Lichtwerkstatt Jena gezielt dazu, Innovationsprozesse für unkonventionelle Herangehensweisen zu öffnen und neuartige Lösungsansätze zu erproben.

Positionierung von Hochschulen als Weiterbildungsanbieter

In Anbetracht der Größe der Lücke im Bereich der technologischen Future Skills wird die Anzahl an zukünftigen Schulabgängern, die ein Studium in diesem Bereich aufnehmen, den Bedarf bei Weitem nicht decken können. Hochschulen sollten daher auch Personen, die bereits im Berufsleben stehen, in diesen Bereichen verstärkt weiterbilden. Dies kann durch verschiedenste berufsbezogene Weiterbildungsformate, vom Online-Seminar bis zum berufsbegleitenden Teilzeitstudiengang, erfolgen. Eine erste Schätzung zeigt, dass staatliche Hochschulen 2017 insgesamt 44 Weiterbildungsstudiengänge für technologische Future Skills angeboten haben – knapp zwei Drittel davon für komplexe Datenanalyse oder nutzerzentriertes Designen. Bei durchschnittlich 50 Teilnehmern bedeutet dies, dass etwa 2.000 Menschen jährlich einen weiterbildenden Masterstudiengang für Tech-Skills an staatlichen Hochschulen belegt haben – und zeigt gleichzeitig das erhebliche noch nicht gehobene Potenzial.

Das Anbieten von Weiterbildung bedeutet für staatliche Hochschulen einen tiefgreifenden Strategiewechsel. Hochschulen haben einen in allen Landesgesetzen verankerten (Weiter-) Bildungsauftrag, der sich über die gesamte Bildungsbiographie im postsekundären Bereich erstreckt. Hochschulen sind gefordert, ihre Lehrangebote und -formate zu verbreitern, sich verstärkt für die Nachfrage von Unternehmen und anderen Weiterbildungsinteressenten zu öffnen und für Durchlässigkeit und Synergieeffekte zwischen dem eigenen Lehrangebot und anderen zielgruppenspezifischen Weiterbildungsmöglichkeiten zu sorgen.

Im Bereich der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens lassen sich vier Grundtendenzen inhaltlicher und formaler Verschmelzungsprozesse identifizieren: Die Verschmelzung von akademischen und beruflichen Inhalten und Zielgruppen, eine Zusammenführung der Inhaltsproduktion von Unternehmen und Bildungsinstitutionen, eine Koppelung digitaler und physischer Weiterbildungsumgebungen und eine Verschränkung von informellem und formalem Lernen.

Ein großes Skalierungspotenzial für akademische Weiterbildungsangebote liegt dabei in der Verschränkung von physischen und virtuellen Weiterbildungsmodulen. Hierfür sind neue Allianzen für Inhaltsproduktion und Operationalisierung nötig: Allianzen von Hochschulen, zwischen Bildungsinstitutionen und Unternehmen sowie zwischen öffentlichen und privaten Plattformanbietern. Dabei muss es sich längst nicht immer um Studiengänge handeln: So sind Unternehmen oftmals eher an kürzeren und thematisch fokussierten (Zertifikats-) Angeboten interessiert, in deren Rahmen ihre Mitarbeiter neue Kompetenzen erlangen.

Der Schlüssel zur effizienten Verbindung solcher maßgeschneiderten Programme mit offenen Angeboten für alle Studieninteressierten ist die Modularisierung, im internationalen Kontext auch diskutiert als "Unbundling of Education". Im Optimalfall ließen sich aus einzelnen, unternehmensspezifischen oder offenen Modulen – als Produkteinheit betrachtet – flexibel inhaltliche Pakete schnüren, die sich gegebenenfalls zu einem kompletten Abschluss ergänzen.

Nutzung von Plattformen für lebenslanges Lernen

Hochschulen müssen mit ihren Studien- und Bildungsangeboten sehr unterschiedliche Zielgruppen erreichen und verstärkt auch flexible Angebote entwickeln. Dies geht einher mit der Notwendigkeit einer (onlinebasierten) Skalierung ihrer Angebote, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.

Gerade im Bereich Future Skills haben sich in den vergangenen Jahren im globalen Kontext bereits große Online-Plattformen etabliert. Plattformen wie edX, Coursera oder Udacity werden auch in Deutschland mit ihrem vorwiegend englischsprachigen Angebot bereits von unterschiedlichen Zielgruppen des Lebenslangen Lernens genutzt. Nur wenige Hochschulen in Deutschland haben bisher dort auch eigene Angebote zur Verfügung gestellt (zum Beispiel die RWTH Aachen und TU München auf edX) oder eine eigene Plattform entwickelt (oncampus der TH Lübeck). Auf Landesebene bestehen Plattformmodelle wie die vhb in Bayern, die 2019 für die Öffentlichkeit geöffnet werden soll oder die HOOU in Hamburg. Bisher konnte aber noch keine dieser Plattform eine bundesweite oder gar internationale Reichweite erlangen und auch nur ansatzweise dem dargestellten Nachfragepotenzial gerecht werden.

Daher wird derzeit verstärkt die Möglichkeit einer Entwicklung einer bundesweiten Plattform diskutiert, die eine Infrastruktur und einen Qualitätsrahmen für Hochschulen und gegebenenfalls auch für weitere Weiterbildungsanbieter bieten soll. Das Hochschulforum Digitalisierung hat hierzu 2018 eine Machbarkeitsstudie veröffentlicht, die Bundesregierung plant als Teil ihrer KI-Strategie eine Pilot-Plattform für Künstliche Intelligenz. Für den übergreifenden Weiterbildungsmarkt hat eine Arbeitsgruppe der CDU-Bundestagsfraktion kürzlich das Konzept MILLA vorgelegt. Dieses verknüpft mögliche Kursangebote mit umfassenden Anreiz- beziehungsweise Vergütungssystemen für Kursanbieter und Lernende sowie einer starken Präsenz von Unternehmen, nicht nur zur Weiterbildung, sondern auch zur Gewinnung neuer Arbeitnehmer.

Entscheidend für eine Plattform, die auch Hochschulen als Anbieter lebenslangen Lernens stärken soll, ist vor allem eine Einbettung in ein übergreifendes Ökosystem an Online- und Offlineangeboten, das den Bedarfen aller Zielgruppen gerecht wird (Lernende, Hochschulen, Unternehmen etc.). Kurse müssen ergänzt werden durch digitale Beratungs- und Unterstützungsangebote für alle Nutzergruppen. Dies beinhaltet zum Beispiel auch eine umfassende Unterstützung von Hochschulen bei der Entwicklung von Online-Angeboten und der Definition von Standards für die Entwicklung von Kursen und Modulen.

Darüber hinaus ist eine Ausrichtung der Online-Angebote erforderlich, die den Mehrwert des Präsenzlernens klar mit fokussiert. Neben potenziell unbegrenzt skalierbaren Online-Kursen, die grundlegende Inhalte und Wissen vermitteln, sollten daher auch dezentrale Offline-Lern-Communities gleichberechtigt im Fokus der Plattformentwicklung stehen. Diese sind notwendig, um trotz der bundesweiten Nutzungs- und Vernetzungsmöglichkeiten auch den Rückbezug zur eigenen Lebens- und Arbeitswelt zu stärken und in Blended-Learning-Formaten auch der Mehrzahl der Lernenden gerecht zu werden, für die reine Onlineangebote nicht genügen, um den Lernerfolg sicherzustellen.

Die Trägerschaft für ein solches Plattformmodell sollte über eine Partnerstruktur geregelt werden, die sowohl die hochschulische als auch die unternehmerische Perspektive berücksichtigt und gleichzeitig dem Plattformbetreiber (zum Beispiel eine gemeinsame gGmbH) ausreichend Spielraum und Agilität garantiert.

Neue Formen der Zertifizierung und Kompetenznachweise entwickeln

Während in Deutschland formale Bildungsabschlüsse noch immer weitreichende und karriereprägende Kraft haben – insbesondere im öffentlichen Dienst – steht vor allem in der internationalen Unternehmenswelt und in der Start-up-Szene bei der Rekrutierung und der Ausgestaltung von Karrierewegen prioritär der Nachweis spezifischer Kompetenzen im Vordergrund. Ein aktuelles Beispiel dafür: Im August 2018 haben 15 große amerikanische Unternehmen den College-Abschluss als Einstellungsvoraussetzung abgeschafft. Nicht mehr der formale Abschluss soll im Vordergrund der Rekrutierungsstrategien stehen, sondern der Kompetenznachweis.

Kommerzielle Anbieter bedienen mit modularen Weiterbildungsangeboten diese Tendenz und bewerben die zeitliche und inhaltliche Fokussierung ihrer Angebote mit der Vergabe von Nanodegrees oder Microdegrees.

Veränderte Anforderungen an Kompetenzprofile im digitalen Zeitalter führen zu veränderten Anforderungen an Zertifizierungsprozesse und Zertifikatstypen. Da Weiterbildung – vor allem im Bereich technologischer Future Skills – zunehmend informell und non-formal stattfindet, entsteht ein Bedarf an neuen Zertifizierungsmodi. In Deutschland finden in diesem Zusammenhang bereits Experimente mit Peer-to-Peer-Zertifizierungen statt, deren Mehrwert in der Flexibilität des Prozesses und den qualitätsgesicherten Ergebnissen gesehen wird. Das vom Hochschulforum Digitalisierung entwickelte Instrument HFDcert zum Beispiel ermöglicht Nutzern, ihr Engagement für innovative und digitale Lehre in einem Online-Portfolio sichtbar zu machen, sobald ihre auf der Online-Plattform eingereichten Aktivitäten und Nachweise im Peer-Review-Verfahren von entsprechenden Themenexperten positiv bewertet wurden. Die erreichten Progressionsstufen werden über Badges und ein individuelles Zertifikat abgebildet.

Zugunsten der individuellen Profilschärfung und dargestellten Employability muss die Frage nach dem Zertifizierungsmodus notwendigerweise an die Frage nach der Sichtbarmachung der ausgebauten Kompetenzen gekoppelt sein. Große Recruiting-Portale wie LinkedIn haben sich darauf eingestellt und neue Darstellungsformen spezifischer Kompetenznachweise entwickelt. Im angelsächsischen Raum spielt die Vergabe von Open Badges bereits zunehmend eine Rolle in der Darstellung von Qualifikationen und Kompetenzen. Durch ihre standardisierten Raster zur Bereitstellung von Metadaten weisen Open Badges zwar ein hohes Potenzial bezüglich der Transparenz der bescheinigten Kompetenzen auf, werden bislang in Deutschland allerdings nur vereinzelt eingesetzt. Die Beuth Hochschule für Technik Berlin vergibt bereits digitale Kompetenzabzeichen basierend auf Mozilla Open Badges, unter anderem in den Bereichen Leadership und Interkulturelle Kompetenzen.

Quelle: Stifterverband, McKinsey

Glossar

Future Skills: Kompetenzen, die in den nächsten fünf Jahren für Berufsleben und/oder gesellschaftliche Teilhabe deutlich wichtiger werden – und zwar über alle Branchen hinweg, nicht nur in einzelnen Industriezweigen.

Technological Skills: Digitale Fähigkeiten, die neue Berufe prägen und von immer mehr Beschäftigten ausgeübt werden. Wer diese Fähigkeiten beherrscht, verfügt über neuestes (informations-) technologisches Fachwissen und kann es anwenden. Dabei geht es beispielsweise um komplexe Datenanalyse, Smart Hardware-/Robotik-Entwicklung, nutzerzentriertes Designen oder die Konzeption und Administration vernetzter IT-Systeme. Diese Fähigkeiten werden über alle Organisationen hinweg neue Berufsprofile schaffen. Sie prägen häufig schon heute die Berufsprofile in Start-ups.

Digital Citizenship Skills: Digitale Fähigkeiten, die jeder im Berufsleben sowie für gesellschaftliche Teilhabe in Zukunft benötigt. Wer diese Fähigkeiten beherrscht, kann in einer immer stärker digital geprägten Welt kollaborativ und agil arbeiten sowie kritische Entscheidungen treffen. Solche Fähigkeiten, zu denen unter anderem auch Digital Literacy (Umgang mit komplexen Datenmengen), digitale Interaktion und Digital Ethics zählen, sind für jeden in Zukunft erforderlich – im Beruf, aber auch für gesellschaftliche Teilhabe.

Classic Skills: Klassische Fähigkeiten oder Eigenschaften, die jeder im Berufsleben sowie für gesellschaftliche Teilhabe in Zukunft benötigt, wie beispielsweise Kreativität, unternehmerisches Handeln oder Durchhaltevermögen. Wer diese Fähigkeiten beherrscht, kann sich in neuen Situationen zurechtfinden und Probleme mit eigenen Ideen lösen. Diese traditionellen Fähigkeiten werden in Zukunft noch wichtiger, denn Aufgaben- und Berufsprofile verändern sich aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung rasant.

(Über-)Fachliche Fähigkeiten: Überfachliche Fähigkeiten ist der Überbegriff für Digital Citizenship Skills und Classic Skills, während Technological Skills fachliche Fähigkeiten sind

 

Mehr Info

Die Analyse zu den Hochschulstrategien für die Vermittlung von Future Skills ist Teil eines vom durch den Stifterverband und McKinsey gemeinsam erarbeiteten Diskussionspapiers, das im März 2019 erschienen ist: Strategische Potenziale für Hochschulen.