Unternehmen stehen angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und der Entwicklung neuer Arbeitsformen vor einer doppelten Herausforderung.
Sie müssen einerseits den Engpass an Experten mit technologischen Fähigkeiten bewältigen, die bereits heute eine knappe Ressource darstellen und bei deren Rekrutierung sich insbesondere klassische Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen nach wie vor schwertun. Andererseits gilt es in der Arbeitswelt 4.0 auch dem Großteil der übrigen Belegschaft neue digitale und nicht-digitale Schlüsselqualifikationen zu vermitteln. Ein besseres Verständnis, welche Future Skills in welchem Ausmaß zukünftig benötigt werden, ist daher als Planungs- und Entscheidungsgrundlage für Unternehmen, aber auch für Politik und Bildungsinstitutionen von zentraler Bedeutung.
Im Folgenden wird zunächst der zukünftige Bedarf an technischen Spezialisten eingeschätzt, bevor anschließend der Weiterbildungsbedarf auf Ebene der digitalen und nicht-digitalen Schlüsselqualifikationen genauer beleuchtet wird. In beiden Fällen basiert die Quantifizierung auf der Online-Befragung von 607 Unternehmen aus der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen und Banken.
Reines Wissen wird immer weniger wichtig. Die Bedeutung von Skills, die den Einsatz von Wissen erst ermöglichen, nimmt hingegen stark zu.
Für den Bereich der technologischen Fähigkeiten lässt sich aus den Umfrageergebnissen bis 2023 ein Bedarf von rund 700.000 Personen mit den entsprechenden Kompetenzen allein in der Wirtschaft ableiten. Dieser Bedarf berechnet sich als Differenz zwischen der Zahl von Beschäftigten, die heute schon über einzelne technologische Fähigkeiten verfügen, und der Zahl derer, die der Umfrage zufolge in fünf Jahren darüber verfügen sollten.
Gliedert man die rund 700.000 Personen nach den zugrundeliegenden Future Skills, so erweist sich der Bedarf an Personen mit der Fähigkeit zu komplexer Datenanalyse mit 455.000 Personen als mit Abstand größter Posten, der sogar mehr als die Hälfte des Bedarfs bei den technologischen Fähigkeiten insgesamt ausmacht. Dieser hohe Wert deutet darauf hin, dass Unternehmen zukünftig noch stärker als bisher große Datenmengen erheben und verarbeiten werden und dass die Künstliche Intelligenz, die auf komplexer Datenanalyse basiert, einen immer größeren Stellenwert haben wird.
Der Bereich komplexe Datenanalyse hat darüber hinaus auch die größte Bedeutung für Berufsprofile außerhalb von IT-Abteilungen und beeinflusst nahezu alle Funktionsbereiche in Unternehmen, angefangen bei Forschung und Entwicklung über Marketing und Vertrieb bis hin zu Personal und Organisation. Aber nicht nur in verschiedenen Funktionsbereichen werden zukünftig mehr Fachexperten mit Fähigkeiten in komplexer Datenanalyse benötigt. Aufgrund der mit der Digitalisierung verbundenen allgemeinen Ausweitung der Möglichkeiten zur Datenerhebung entstehen auch jenseits der originär datenintensiven Branchen wie zum Beispiel der Versicherungswirtschaft zunehmend neue Geschäftsmodelle, die auf der Analyse und Interpretation großer Datenmengen basieren. Expertise in komplexer Datenanalyse wird daher branchen- und funktionsbereichsübergreifend zu einer zentralen Schnittstellenkompetenz in Unternehmen.
607 Unternehmen, darunter Großunternehmen, Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen, wurden im Juni 2018 online dazu befragt, inwieweit Mitarbeiter über einzelne der oben beschriebenen Future Skills verfügen bzw. verfügen müssten. Die Schätzungen der Unternehmen bilden die Grundlage für die Hochrechnung.
Der zusätzliche Bedarf an technologischen Fähigkeiten ergibt sich als Differenz zwischen den Erwerbstätigen der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen und Banken mit hohem Bildungsstand (gemäß International Standard Classification of Education (ISCED) der UNESCO, Level 5 und 6), die heute über die einzelnen Fähigkeiten verfügen, und denjenigen, die in fünf Jahren aus Sicht von Unternehmen darüber verfügen müssten. Beispielsweise ergibt sich für komplexe Datenanalyse, dass in fünf Jahren 455.000 Spezialisten mehr benötigt werden, als heute in diesem Bereich arbeiten. Die gerundete Zahl 455.000 berechnet sich dabei als prozentuale Differenz (Anteil Personen an allen Mitarbeitern, die Skills in fünf Jahren benötigen werden, abzüglich des Anteils, der ihn heute bereits besitzt), multipliziert mit der Gesamtzahl Erwerbstätiger der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen und Banken mit hohem Bildungsstand.
Der Bedarf bei Smart Hardware-/Robotik-Entwicklung wird mit 27.000 Personen deutlich geringer eingeschätzt. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte darin liegen, dass die erforderlichen Fähigkeiten vergleichsweise nahe an bereits in der Vergangenheit wichtigen Fähigkeiten aus dem Ingenieurwesen liegen und hier bereits ein größerer Pool an entsprechend ausgebildeten Mitarbeitern existiert. Aufgrund der anhaltenden und zentralen Bedeutung von Software für die Geschäftsmodelle von Unternehmen können die vorliegenden Ergebnisse auch als Beleg für eine mögliche Fokussierung auf den Bereich Software bzw. als Beleg für eine Unterschätzung der Bedeutung von Hardware und Robotik interpretiert werden.
Für den Bereich der Blockchain-Technologie konnte der Bedarf von Unternehmen vielfach nicht beziffert werden, so dass er nicht in die Berechnung eingeflossen ist. Dass sich die Nachfrage bei dieser Technologie besonders dynamisch entwickelt, zeigt sich aber beispielsweise in Analysen des Online-Job-Portals Indeed, gemessen an den Zugriffszahlen eines der größten Jobportale in Deutschland und weltweit. So stieg allein von Januar bis Dezember 2017 die Zahl der veröffentlichten Stellen mit Blockchain-Bezug um 625 Prozent, Suchanfragen unter Verwendung des Begriffs Blockchain legten im gleichen Zeitraum sogar um 661 Prozent zu. Wenngleich dieser sprunghafte Anstieg bislang noch auf geringen absoluten Zahlen beruht, zeigt dieses Beispiel, wie schnell sich neue Technologien auf das Angebot bzw. die Nachfrage nach bestimmten Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt auswirken können.
Ausgehend von einem Bedarf von 700.000 Personen müssten in den kommenden fünf Jahren also im Durchschnitt jährlich rund 140.000 Personen fortgeschrittene technologische Fähigkeiten erwerben – allein für den hier betrachteten Bereich der Wirtschaft, der rund 60 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland umfasst. Überträgt man die Ergebnisse auch auf den Bereich der öffentlichen Arbeitgeber, steigt der Bedarf an Personen mit technologischen Fähigkeiten auf etwa 1,1 Millionen Personen – eine immense Qualifikationsaufgabe.
Nach Aussagen der Unternehmen kann dieser Bedarf auf unterschiedlichen Wegen gedeckt werden: Erstens durch gezielte Rekrutierung von Studienabsolventen aus entsprechenden Studiengängen. Zweitens wird die bestehende Belegschaft durch entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen beim Aufbau der Fähigkeiten unterstützt, zum Beispiel durch Weiterbildungen von Maschinenbauingenieuren in Smart Hardware und Robotik. Technologische Fähigkeiten werden drittens auch verstärkt in der dualen Ausbildung vermittelt werden, beispielsweise Web-Entwicklung oder UX-Design. Viertens sind deutsche Unternehmen vermehrt auf dem globalen Arbeitsmarkt aktiv und werben weltweit um Tech-Spezialisten. Einige Unternehmen geben auch an, dass sie Technologie-Aktivitäten gezielt an Standorten in den Ländern ansiedeln, in denen Technologiespezialisten ausreichend verfügbar sind. Eine Analyse der Herausforderungen für Personalabteilungen und Bildungseinrichtungen wird in den Diskussionspapieren zwei und drei dieser Serie vorgestellt.
Für alle Arten von beruflichen Tätigkeiten, von der Vertriebsleiterin bis zum Sachbearbeiter, werden einige Fähigkeiten und Fertigkeiten zu Schlüsselqualifikationen in der Arbeitswelt 4.0 – etwa der routinierte Umgang mit elektronischen Daten, Grundkenntnisse in Fragen des Datenschutzes, die Kollaboration mit anderen, ein beständiges Lernen und weitgehend selbstständiges Arbeiten. Dieser Befund wird von den befragten Personalverantwortlichen bestätigt, die übereinstimmend davon ausgehen, dass in den digitalen und nicht-digitalen Schlüsselqualifikationen der weitaus größte Weiterbildungsbedarf in den kommenden Jahren liegen wird.
Gerade bei den Soft Skills wie zum Beispiel Kreativität oder zwischenmenschlicher Interaktion beobachten wir, dass Mitarbeitern nicht klar ist, dass sie Weiterbildungsbedarf haben. Soft Skills sind jedoch besonders entscheidend, da sie nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden.
Der von den meisten Mitarbeitern benötigte Future Skill ist die Fähigkeit zur Kollaboration; sie wird zunehmend durch digitale Technologien unterstützt und geprägt. Neun von zehn Mitarbeitern sollten sie beherrschen. Jeweils rund drei Viertel der Mitarbeiter benötigen digitale Grundkenntnisse und sollten Durchhaltevermögen und Eigeninitiative beweisen. Der Bedarf an Personen, die agil arbeiten können, ist am geringsten, aber immer noch zwei Drittel der Beschäftigten sollten diese Fähigkeit besitzen.
Der Vergleich zwischen den Personen, die heute bereits über die einzelnen Fähigkeiten verfügen, und denjenigen, die in fünf Jahren aus Sicht von Unternehmen darüber verfügen müssten, zeigt einen hohen Weiterbildungsbedarf. Der höchste Bedarf besteht beim digital Learning: Damit in fünf Jahren rund drei Viertel der Beschäftigten die Fähigkeit zum digitalen Lernen besitzen, müssen bis dahin 3,8 Millionen Menschen weitergebildet werden. Bei rund 2,8 Millionen Personen sollte in diesem Zeitraum die digital Literacy vertieft werden, ebenso hoch ist der Weiterbildungsbedarf bei Kollaboration und digitaler Interaktion. Der geringste, aber dennoch signifikante Bedarf besteht beim unternehmerischen Handeln, das bei rund 2,4 Millionen Personen trainiert werden sollte.
Angesichts der Radikalität und des Tempos, mit denen Automatisierung und Digitalisierung die Arbeitswelt verändern, erscheint dieser Bedarf zwar hoch, aber dennoch nicht unrealistisch. Die Bedeutung der Weiterbildung hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen und der Kreis der Weiterbildungsteilnehmer hat sich ständig vergrößert. 2016 nahm bereits etwa jeder zweite der 18- bis 64-Jährigen an Weiterbildungen teil, so dass die Deckung des Bedarfs zwar ambitioniert, aber nicht unmöglich erscheint.
Die Qualifizierungslücke im Bereich der überfachlichen Qualifikationen lässt sich nur schließen, indem Menschen im Berufsleben konsequent und kontinuierlich weitergebildet werden. Hierfür werden punktuelle "Schulungen" allein nicht ausreichen, vielmehr gilt es im Sinne eines lebenslangen Lernens, eine systematische und kontinuierliche betriebliche Weiterbildung und Befähigung zu entwickeln.
Die Future-Skills-Bedarfsanalyse wurde im Sommer 2018 durch den Stifterverband und McKinsey gemeinsam mit Unternehmen entwickelt. Weitere Details zu der Studie enthält das im September 2018 veröffentlichte Diskussionspapier "Future Skills: Welche Kompetenzen in Deutschland fehlen".