Die Schulung und Weiterbildung von Mitarbeitern ist der zweite wichtige Hebel, um die Belegschaft von Unternehmen mit den erforderlichen Fähigkeiten auszustatten. In einer Umfrage des McKinsey Global Institute unter Führungskräften sind sogar 75 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass die Qualifizierung bestehender Mitarbeiter die in Unternehmen vorhandene Qualifikationslücke mindestens zur Hälfte schließen wird. Dabei kann die Weiterbildung von Mitarbeitern auf die gesamte Bandbreite von Future Skills abzielen – von technologischen Fähigkeiten wie nutzerzentriertem Designen bis hin zu digitalen Grundfähigkeiten wie Digital Literacy. Während ein Teil der Fähigkeiten über Schulungen vermittelt werden muss (formales Lernen, zum Beispiel IT-Schulungen), lassen sich andere Fähigkeiten über das Lernen im Prozess der Arbeit (on the Job) erwerben. Zu diesem informellen Lernen gehört zum Beispiel, dass die Fähigkeit zum kollaborativen Arbeiten über Projekte erlernt wird, in denen neue Arten der Zusammenarbeit zum Einsatz kommen.
Unsere Analysen zeigen: Weiterbildung wird nicht nur an Bedeutung gewinnen, sondern zugleich ihren Charakter verändern. Sie setzt früher ein (Onboarding-Phase), wird quantitativ ausgeweitet, erhält eine steigende Relevanz in Arbeitskontrakten und begleitet ein Arbeitsleben deutlich systematischer als bisher. Auch im Bereich der Weiterbildung wird Digitalisierung eine zunehmende Rolle spielen. Onlineformate und plattformen haben eine immer größere Bedeutung für neuartige interne und externe Aktivitäten der Peer-Weiterbildung und des Wissensaustauschs. Unternehmen produzieren zunehmend digitale Qualifikationsmodule und teilen diese mit anderen Unternehmen auf Onlineplattformen. Lehrinhalte privater und öffentlicher Bildungsanbieter können auf solchen Plattformen integriert und von jedermann abgerufen werden (LinkedIn; Academy Cube). Große Unternehmen experimentieren darüber hinaus zunehmend mit firmeninternen Lerngruppen (Corporate Learning Communities). In spielerisch gestalteten Events treffen sich Mitarbeiter außerhalb von Hierarchien und Abteilungen in neuen Lernumgebungen und vernetzen sich zu Lern-Communities. Darin werden die eigenen Arbeitsweisen besprochen und Problemlösungen gemeinschaftlich erarbeitet.
Laut den Teilnehmern der Umfrage unter mehr als 600 Unternehmen werden bereits heute etwa 60 Prozent des Weiterbildungsbudgets für Maßnahmen ausgegeben, die speziell auf Future Skills abzielen. Der Anteil der Unternehmen, die in ihrer Weiterbildung einen Schwerpunkt auf Future Skills legen, wird in den nächsten fünf Jahren weiter steigen – von 65 Prozent auf 75 Prozent. Im Hinblick auf die für formale Weiterbildungsmaßnahmen verfügbare Zeit geben deutsche Unternehmen an, dass ihre Mitarbeiter heute 3,7 Tage pro Jahr für Weiterbildungen aufwenden; zugleich gehen sie davon aus, dass die Weiterbildungszeit über die nächsten fünf Jahre auf durchschnittlich 5,0 Tage pro Jahr steigen wird.
Es zeichnet sich ab, dass durch die Veränderung der Rahmenbedingungen (Weiterbildungsanreize, neue Finanzierungsmodelle, tarifliche Vereinbarungen etc.) zukünftig auch die individuelle Arbeitnehmernachfrage nach kontinuierlicher Weiterbildung noch einmal deutlich zunehmen wird. Aufgabe der Personalabteilungen und der Führungskultur wird es daher sein, in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen den Qualifikationsbedarf von Unternehmensabteilungen und Arbeitnehmerinteressen genauer als bisher abzugleichen – und dafür flexible und effiziente Umsetzungsformate zu finden. Parallel wird auch das Controlling und die Wirkungsmessung von Bildungsmaßnahmen deutlich ausgeweitet und systematisiert werden.
Die erwartete Steigerung bei Seminaren und Trainings wird jedoch kaum ausreichen, um den hohen Weiterqualifizierungsbedarf bei Future Skills zu decken. Bei fünf Tagen pro Jahr werden immer noch lediglich 2 Prozent der verfügbaren Arbeitszeit von Vollzeitmitarbeitern für Weiterbildung genutzt. Unternehmen setzen deshalb zunehmend auf die zeitliche Ausweitung und die kontinuierliche Integration von Weiterbildung in den praktischen Arbeitsalltag der Beschäftigten: Sie setzen auf das informelle Lernen. Ein deutscher Großkonzern beispielsweise reserviert bei einem Teil der Mitarbeiter einen Tag pro Woche für persönliche Weiterentwicklung, also rund 20 Prozent der Arbeitszeit. Dieser Tag ist vorgesehen für Trainings und die Arbeit an Projekten, die jenseits der Routinetätigkeiten der Mitarbeiter liegen und neue Kompetenzen fördern sollen. Das Unternehmen vermeidet es bewusst, Start-up-Strukturen jenseits der eigenen Funktionen aufzubauen. Es geht mit diesem Modell den Weg, möglichst viele Mitarbeiter in kollaborative Projekte und neue digitale Interaktionsformen einzubinden, um nach und nach eine Kulturveränderung in allen Funktionen des Unternehmens herbeizuführen. Organisationsentwicklung und Personalentwicklung bedingen sich hier gegenseitig.
Als Faustformel gilt bei uns: Zehn Prozent der Weiterbildung werden in formalen Trainings verbracht, 90 Prozent sollten on the Job bei der Arbeit an konkreten Projekten erfolgen.
Eine Vorbedingung für den gezielten Auf- und Ausbau von Future Skills im Unternehmen ist die Erfassung von Status und Bedarf an diesen Skills in der gesamten Organisation ebenso wie bei den einzelnen Mitarbeitern – auch im Sinne eines begleitenden Monitorings zu den eingeleiteten Rekrutierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. Auch dies erweist sich für viele Unternehmen als schwierige Aufgabe. Insbesondere beim Training on the Job fehlen Informationen über die erworbenen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter und die noch zu deckenden Bedarfe. Das Kompetenzmanagement ist bislang wenig digitalisiert, doch auch hierbei können digitale Lösungen unterstützen.
Ein Praxisbeispiel dafür liefert ein großes IT-Unternehmen: Hier wurde zunächst in einem Strategieprozess ein Set erfolgsentscheidender Fähigkeiten definiert. In diesen Bereichen wurden dann spezifische Angebote für Mitarbeiter entwickelt. Angebote können sowohl Trainings als auch für den Kompetenzaufbau geeignete Projekte sein. Nach Abschluss eines neuen Projektes, das diese Skills erfordert, oder nach Teilnahme an einer Weiterbildung wird das Qualifikationsprofil des jeweiligen Mitarbeiters automatisch mit diesen neuen Skills aktualisiert. Danach empfiehlt das System, welche Art von Projekten oder Weiterbildungen für die persönliche Entwicklung des Mitarbeiters als nächstes vorteilhaft wären. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Plattformen mit ihren Entscheidungsalgorithmen ersetzt die Technik bei diesem Vorgehen jedoch nicht den Menschen. Die Entscheidung, welche Fähigkeiten von ausschlaggebender Bedeutung sind, wird von den Verantwortlichen im Unternehmen und auch von den Mitarbeitern selbst getroffen – abgeleitet von den Entwicklungen in den jeweiligen Geschäftsfeldern. Der hohe Grad der Automatisierung sorgt allerdings dafür, dass die beteiligten Mitarbeiter sich auf diese Skills konzentrieren und fokussieren können, während die technische Unterstützung in zuvor definierten Themenfeldern das Monitoring und die Auswahl passender Weiterbildungsangebote übernimmt.
Die Analyse zu den Trends in der Personalentwicklung ist Teil eines vom durch den Stifterverband und McKinsey gemeinsam erarbeiteten Diskussionspapiers, das im November 2018 erschienen ist: Wie Future Skills die Personalarbeit verändern.